Dr. Anja Maria Engelsing
Eine chronische Zahnfleischentzündung kann die Ursache vorzeitiger Wehen sein. Dieser Zusammenhang ist evidence based. Anlässlich der Festveranstaltung zum 10-jährigen Bestehen der NATUM* referierte Dr. W. Koch, Herne, über die Konsequenzen dieser Zusammenhänge für die Betreuung von Frauen mit Kinderwunsch und von Schwangeren.
Die Parodontitis chronica ist die entzündliche Erkrankung des Zahnhalteapparates, gemeinhin Paradontose genannt. Diese führt zu den klinischen Symptomen Blutungsneigung des Zahnfleisches, Ausbildung von Zahnfleischtaschen, Abbau von Alveolarknochen und schließlich Zahnverlust.
Ursache der Parodontitis chronica ist nicht nur, wie volkstümlich angenommen, eine mangelhafte Mundhygiene und Zahnsteinbildung. Vielmehr führt eine opportunistische Infektion mit oralen Mikroorganismen wie Porphyromonas gingivalis, Actinobacillus und Provotella intermedia sowie anderen gramnegativen Keimen zu der chronischen Parodontitis. Diese ist mithin eine Infektionskrankheit.
Die Keime wirken als bakterielle Antigene und produzieren Lipopolysaccharide, die die Bildung von proinflammatorischen Zytokinen hervorrufen. Es kommt zu einer Entzündungsreaktion, zur Ausschüttung von Tumor-Nekrose-Faktor, Interleukinen Alpha und Beta, und Prostaglandinen. Zudem werden Enzyme wie Metalloproteasen, Kollagenasen und Elastasen freigesetzt.
Damaré konnte bereits 1995 eine deutliche Korrelation zwischen der Konzentration von Prostaglandin E2 und Interleukin-1 Beta in Fruchtwasser und Sulkusflüssigkeit feststellen, der zwischen Zahn und Zahnfleisch gelegenen Substanz, was von Konopka et al ( 6) im Jahr 2003 bestätigt wurde.
Besteht eine Parodontitis, so kann bei Manipulation des parodontalen Gewebes, zum Beispiel beim Zähneputzen, eine Bakteriämie auftreten, eine Translokation von bakteriellen Produkten, insbesondere Lipopolysacchariden, in die Blutbahn. Die Parodontitis chronica führt mithin zu einer vermehrten Prostaglandin-Synthese in den Monozyten und zu einer erhöhten Calcium-Konzentration in den Myometriumzellen. Diese Faktoren können, zusammen mit der Erhöhung von Tumor-Nekrose-Faktor und Interleukinen, Uteruskontraktionen mit vorzeitiger Wehentätigkeit und Zervixreifung bewirken. Offenbacher konnte 1996(x) nachweisen, dass parodontale Erkrankungen das Frühgeburtsrisiko um das 7,5-fache erhöhen. (WHO-Definition: Geburt vor der 37.Schwangerschaftswoche oder mit einem Geburtsgewicht von weniger als 2500 Gramm). Weitere Studien, wie die von Lopez 2002 und Offenbacher 2001, belegen ebendies. Man geht davon aus, dass in den USA ca. 18% der untergewichtig und zu früh geborenen Kinder Folge der Parodontitis sind. Für Deutschland gibt es bislang keine vergleichbaren Zahlen.
Dennoch ist die Relevanz dieses Zusammenhanges enorm, bedenkt man alleine den entsprechenden Kostenaufwand für die Betreuung der Mütter mit vorzeitiger Wehentätigkeit und vorzeitiger Zervixreifung, sowie die zu früh geborenen Kinder. Das ungeheuere Leid der Betroffenen lässt sich ohnehin kaum in Worte fassen.
Welche Konsequenz hat dies alles für die Tagesarbeit des Frauenarztes?
In der Schwangerschaft kommt es durch eine erhöhte Konzentration der Sexualsteroide zu einer vermehrten vaskulären Zirkulation in der Gingiva und einer erhöhten Durchlässigkeit der Zellwände. Wir müssen davon ausgehen, das über 30 % aller Schwangeren unter Schwangerschaftsgingivitis mit entsprechend vermehrter Prostaglandin-Freisetzung leiden.
Deshalb sollte zu jeder gynäkologischen Betreuung einer Kinderwunschpatientin die Empfehlung des Zahnarzt-Besuches mit diesbezüglicher Abklärung gehören. Es ist möglich, mittels DNS-Test, einer Polymerase-Chain-Reaction, ein Bakteriogramm zu erstellen und eine entsprechende Therapie einzuleiten. Schwangeren sollte ebenso eine möglichst frühzeitige zahnärztliche Abklärung und Betreuung empfohlen werden, im Sinne von Terrainanalyse und Terraintherapie. Inzwischen liegen erste randomisierte Therapiestudien vor, die Vorteile einer aktiven Parodontitistherapie nahe legen ( Lopez, 2002)
Standardtherapieempfehlung bei fortgeschrittener Paradontitis außerhalb der Schwangerschaft ist neben der zahnärztlichen supra- und subgingivalen Reinigung und einer forcierten Optimierung der Mundhygiene eine antiinfektiöse Therapie, ggf. mit systemisch adjunktiver Antibiose und Mundspülungen mit Chlorhexidin. Alternativ berichtete Dr. Koch von sehr guten Erfahrungen mit Mundspülungen mit dem bakteriziden Teebaumöl, das tropfenweise dem Spülwasser zugegeben werden kann. Zudem berichtete er von dem Nutzen des in der Bevölkerung sehr verbreiteten Ölziehens mit Sonnenblumenöl; beide Methoden sind allerdings nicht durch Studien abgesichert.
„Mundhygiene schützt den Fetus!“: Nur entsprechende Aufklärung und interdisziplinäre Zusammenarbeit von Gynäkologen und Zahnmedizinern gewährleisten eine optimale Betreuung der betroffenen Patientin und mithin den bestmöglichen Schutz für Mutter und werdendes Kind .
Literatur
1 Offenbacher et al (1996): Peridontal infection as a possible risk factor for preterm low birth weight. Journal of Periodontology 67, 1103-1113
2 Offenbacher et al (1996): Potential pathogenic mechanisms of peridontitis associated pregnancy complications. Annals of Peridontology 3, 233-250
3 Offenbacher et al (2001): Maternal periodontitis and prematurity. Part 1: Obsteetric outcome of prematurity and growth restriction. Ann.Periodontol. 6, 164-74
4 Lopez et al (2002): Higher risk of preterm birth and low birth weight in women with periodontal disease. JDent.Res.81, 58-63
5 Lopez et al (2002): Periodontal therapy may reduce the risk of preterm low birth weight in women with periodontal disease: a randomized controlled trial. JPeriodontol. 73, 911-24
6 Konopka et al (2003) : The secretion of prostaglandin E2 and interleukin 1-beta in women with periodontal diseases and preterm low-birth-weight. Bull.Group Int.Rech.Sci.Stomatol.Odontol.45, 18-28