Die vergessenen Vitamine Folsäure, Vitamin B12 und B6 zur Senkung des kardiovaskulären Erkrankungsrisikos

Dr. Bernd Kleine-Gunk

Anti-Aging-Medizin bedeutet im Wesentlichen die Prävention altersassoziierter Erkrankungen. Dabei stehen vaskuläre Erkrankungen an allererster Stelle. In den deutschsprachigen Ländern (Deutschland, Österreich, Schweiz) starben allein im Jahr 2001 443.498 Menschen an Herz-Kreislauferkrankungen (KHK, Myocardinfarkt, cerebrale Insulte, venöse Thrombosen). Bezogen auf ganz Europa liegt die jährliche Todesrate bei etwa 4 Millionen. (1)

Kardiovaskuläre Erkrankungen zeigen dabei durchaus geschlechtsspezifische Unterschiede. Vor allem im jüngeren Lebensalter sind Männer wesentlich häufiger betroffen. So ist etwa die Todesrate an Herzinfarkt bei Männern vor dem 65. Lebensjahr dreimal höher als bei Frauen. (2) Mit zunehmendem Alter steigt dann zwar auch die Rate kardiovaskulärer Erkrankungen beim weiblichen Geschlecht und wird zur häufigsten Todesursache. Etwa drei Viertel aller Frauen zählen aber bereits 75 Jahre, wenn sie einen letalen Infarkt erleiden – ein Alter, das Männer, zumindest statistisch gesehen, gar nicht erst erreichen. (3)

Wie den meisten Erkrankungen, so liegt auch der Arteriosklerose ein multifaktorielles Geschehen zugrunde. Wurden als Hauptursache lange Zeit Störungen des Fettstoffwechsels, insbesondere eine erhöhter Cholesterinspiegel angesehen, so hat sich in den neunziger Jahren das Verständnis der Pathophysiologie der Arteriosklerose erweitert. Die oxidative Belastung des Gefäßsystems, aber auch die Lipidoxidation des Cholesterin und daraus resultierend ein inflammatorischer Prozess der Gefäßwand wurden als weitere Risikofaktoren für die Ausbildung kardiovaskulärer Erkrankungen erkannt. (4)

Denam Harmans Theorie der Freien Radikale als entscheidender Faktor des Alterungsprozesses fand damit auch Einzug in die Arterioskleroseforschung. (5) Die im Wesentlichen auf diesem Konzept fussende Orthomolekulare Medizin propagierte dementsprechend die hoch dosierte Supplementierung mit den antioxidativen Vitaminen A, C und E als wirksame Prophylaxe gegen kardiovaskuläre Erkrankungen. Hierfür gibt es nicht nur eine molekularbiologisch nachvollziehbare Grundlage, auch die epidemiologischen Daten zeigen eine deutlich niedrigere Inzidenz kardiovaskulärer Erkrankungen in Ländern mit einer vitaminreichen, obst- und gemüsebetonten Kost (z.B. die Mittelmeerländer) gegenüber solchen, die weniger vitaminreiche Nahrungsmittel bevorzugen (z.B. die nordeuropäischen und skandinavischen Länder). (6)

Prospektive randomisierte Studien, die klinische Endpunkte überprüfen, erbrachten dagegen fast durchweg enttäuschende Ergebnisse, wenn es um den Nutzen antioxidativer Vitaminsupplemente geht. So wurde etwa in England das Primary Prevention Project, das die Wirksamkeit von Vitamin E in einer Dosierung von 400mg gegen die Gabe von ASS 100 überprüfen sollte, vorzeitig abgebrochen. Während in der ASS-Gruppe die Rate kardiovaskulärer Erkrankungen deutlich gesunken war, zeigte sich in der Vitamin E-Gruppe keinerlei Effekt. Die Unterschiede waren so signifikant, dass die Verantwortlichen der Studie zu dem Schluss kamen, der Vitamingruppe die Gabe von ASS nicht länger vorenthalten zu können. (7)

Es gibt am Design solcher Studien heftige Kritik von Seiten der Orthomolekularen Medizin, und diese Kritik ist nicht unberechtigt. Im Wesentlichen wird bemängelt, dass die Gabe einzelner antioxidativer Vitamine, bzw. sehr limitierter Wirkstoffkombinationen, dem Konzept einer orthomolekularen Therapie nicht gerecht wird, da die dabei verabreichten Wirkstoffe ihren Effekt eben nicht als Einzelsubstanz sondern im Rahmen eines „Antioxidativen Netzwerkes“ entfalten, sich in ihrer Wirkung also gegenseitig unterstützen oder sogar bedingen. Studien, die antioxidative Vitamine als Einzelsubstanzen untersuchen, sind damit bereits im Ansatz zum Scheitern verurteilt.

Diese Diskussion ist sicherlich noch nicht abgeschlossen. Eine ganze Reihe gut konzipierter Studien der letzten Jahre hat dagegen gezeigt, dass eine Vitaminsupplementierung sehr wohl das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen senken kann. Nur handelt es sich hierbei nicht um die lange favorisierten antioxidativen Vitamine A, C und E, sondern um die bisher eher wenig beachteten Vitamine des B-Komplexes, insbesondere die Folsäure.

Grundlage des neu erwachten Interesses an diesen altbekannten Vitaminen ist ein Risikofaktor, dessen entscheidende Bedeutung für die Ausbildung arteriosklerotischer Veränderungen zunehmend erkannt wird: Das Homocystein. Homocystein ist ein schwefelhaltiges Intermediärprodukt im Stoffwechsel der essentiellen Aminosäure Methionin. Durch Aufnahme einer Methylgruppe wird Homocystein entweder zu Methionin remethyliert oder es wird durch Transsulfierung zu Cystein und Glutathion abgebaut. Für den ersten Schritt werden hauptsächlich Folsäure und Vitamin 12 benötigt, die zweite Reaktion ist abhängig vom Vorhandensein des Cofaktors Vitamin B6. (Abb 1) Ein Mangel an den genannten Vitaminen führt damit zwangsläufig zu erhöhten Homocysteinserumspiegeln.

Die pathogene Wirkung erhöhter Homocysteinspiegel ist bereits seit langem durch eine seltene Stoffwechselstörung bekannt. Bei der Homocysteinurie kommt es aufgrund eines angeborenen Enzymdefektes der Cystathionbetasyntase zu einem stark beeinträchtigten Abbau des Homocysteins mit sukzessiven Serumspiegeln von 100 µg/l. Die betroffenen Patienten erleiden bereits im frühen Erwachsenenalter schwere kardiovaskuläre Erkrankungen und thromboembolische Komplikationen. Auch die Demenzrate ist deutlich erhöht. Die Inzidenz der Homocysteinurie liegt bei 1:200000.

Zahlreiche retrospektive und prospektive Studien der letzten Jahre haben nun nachweisen können, dass auch bereits moderat erhöhte Homocysteinspiegel einen eigenständigen Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen darstellen. (8,9)

Die Mechanismen des homocysteinvermittelten arteriosklerotischen Prozesses sind dabei vor allem eine Schädigung des Endothels mit Stimulation inflammatorischer Prozesse der Gefäßwand, sowie eine Aktivierung der Gerinnungskaskade bei gleichzeitiger Hemmung der Fibrinolyse. Insgesamt kommt es bei Hyperhomocysteinämie zum Verlust der antithrombotischen Endothelfunktion und zur Induktion eines prokoagulatorischen Milieus. (10)

Eine Risikoerhöhung ist bereits ab einem Homocysteinwert von etwa 9 µmol/l in einer linearen Dosiswirkbeziehung ohne Schwellenwert darstellbar. (11) Die Wertigkeit des Homocysteins als Risikofaktor entspricht dabei in etwa der des Rauchens oder der Hyperlipidämie. (12) Bei Vorliegen zusätzlicher Risikofaktoren (Nikotinabusus, arterielle Hypertonie, Diabetes, Hyperlipidämie) kann sich das Gesamtrisiko synergistisch und überproportional erhöhen. Metaanalysen zufolge ließe sich durch eine Homocysteinsenkung um 3-5 µmml/l die Inzidenz der KHK-Mortalität um bis zu 25% reduzieren. (13)

Eine entsprechende Absenkung erhöhter Homocysteinspiegel lässt sich durch eine vergleichsweise einfache Maßnahme erreichen, nämlich durch eine Supplementierung von Folsäure in Kombination mit Vitamin B12 und B6. Alle drei Substanzen sind für den Abbau von Homocystein von Bedeutung, wobei die Folsäure die bei weitem wichtigste Rolle spielt. Eine ganze Reihe placebokontrollierter Studien der vergangenen Jahre konnte nachweisen, dass eine Supplementierung von 1mg Folat in Kombination mit 400µg Vitamin B12 und 10mg Vitamin B6 die Homocysteinspiegel signifikant bis in den Normbereich senken kann. Zwei grosse Metaanalysen der letzten Jahre konnten diesen Effekt bestätigen. (13,14) Selbst im Rahmen der interventionellen Kardiologie konnte durch die Gabe eines entsprechenden Multivitaminpräparates die Restenoserate nach PTCA (Percutane Transluminare Coronar Angioplastie) in einer placebokontrollierten Studie signifikant gesenkt werden. (15) Dieser Benefit konnte in einer weiteren Untersuchung, der deutsch-holländischen FACIT-Studie (Folat After Coronary Intervention Trial), angeblich zwar nicht bestätigt werden. Allerdings sind diese Ergebnisse bisher nicht publiziert worden.

Während der Benefit einer Supplementierung im Rahmen der Sekundärprophylaxe bzw. nach einer Stentimplantation also noch als ungeklärt angesehen werden muss, kann er im Rahmen der Primärprävention jedoch als weitgehend gesichert gelten.

Auch die ewige Frage:“ Sind Nahrungssupplemente sinnvoll oder ist es nicht besser, die fehlenden Substanzen über die Nahrung selbst zuzuführen?“ kann im vorliegenden Fall eindeutig beantwortet werden. Folsäuremangel ist der häufigste Vitaminmangel in Europa. Die DGE bzw. D.A.C.H geht davon aus, dass nahezu 90% der erwachsenen Bevölkerung in Europa weniger als die empfohlene Tagesmindestdosis von 300µg Folsäure konsumieren und damit eine Aufnahme deutlich höherer Mengen über die normale Ernährung illusorisch ist.

In ihrem Konsensuspapier „über den rationellen klinischen Umgang mit Homocystein, Folsäure und B-Vitaminen bei kardiovaskulären wie thrombotischen Erkrankungen“ kommt die D.A.C.H., die sicherlich nicht in dem Ruf steht, ein großer Befürworter von Nahrungssupplementen zu sein, daher zu der selten eindeutigen Erkenntnis: “Die ausreichende Versorgung mit mindestens 400µg Folat/Tag ist auch bei ausgewogener Ernährung schwierig und besonders für Risikogruppen häufig nicht realisierbar“. (16)

Fazit: Homocystein kann inzwischen als eigenständiger, gut gesicherter Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen gelten. Eine Absenkung erhöhter Homocysteinwerte ist durch ein einfaches Vitaminsupplement, welches Folsäure, Vitamin B6 und B12 enthält, möglich. Die Therapie ist einfach, risikolos und – sicherlich kein zu vernachlässigendes Argument – kostengünstig.


Literatur:

1. Sans S, Kesteloot H, Kromhout D (1997) The burden of cardiovascular diseases mortality in Europe. Task Force of the European Society of Cardiology on Cardiovascular Mortality and Morbidity Statistics in Europe. EUR Heart J 18:1231-1248

2. USDH&HS/NCHS, Vital Statistics of the Unites States (Washington,D. C.: USGPO, 1991), Teil 1, General Mortality.

3. Eickenberg H.-U, (2003) Männergesundheit: Warum sterben Männer früher?, der mann 01:7-13

4. Ross R (1993) The pathogenesis of atherosclerosis: a perspective for the 1990s. Nature 362:801-809

5. Harman D (1954): Aging: A theory based on free radical and radiation biology. J Gerontol II: 6614-6636

6. Gey, K.F., Puska,P.(1989): Plasma vitamin E and A inversely correlated to mortality from IHD in cross cultural epidemiology. Ann. N. Y. Acad. Sci. 570: 254-282

7. Collaborative Groups of the Primary Prevention Project (2001): Low dose aspirin and Vitamin E in people at cardiovascular risk: a randomised trial in general practice, Lancet 357: 89-95

8. De Bree A, Verschuren WM, Kromhout D, Kluijtmans LA, Blom HJ (2002) Homocysteine determinants and the evidence to what extent homocysteine determines the risk of coronary heart disease. Pharmacol Rev 54:599-618

9. Wald NJ, Watt HC, Law MR, Weir DG, McPartlin J, Scott JM (1998) Homocysteine and ischemic heart disease: results of a prospective study with implications regarding prevention. Arch Intern Med 158:862-867

10. Durand P, Prost M, Loreau N, Lussier-Cacan S, Blache D (2001) Impaired homocysteine metabolism and atherothrombotic disease. Lab Invest 81:645-672

11. Bostom AG, Rosenberg IH, Silbershatz H, Jacques PF, Selhub J, DÁgostino RB, Wilson PW, Wolf PA (1999) Nonfasting plasma total homocysteine levels and stroke incidence in elderly persons: the Framigham Study. Ann Intern Med 131:352-355

12. Graham IM, Daly LE, Refsum HM, Robinson K, Brattstrom LE, Ueland PM, Palma-Reis RJ, Boers GH (1997) Plasma homocysteine as a risk factor for vascular disease. The European Concerted Action Project. J Am Med Assoc 277:1775-1781

13. Wald DS, Law M, Morris JK (2002) Homocysteine and cardiovascular disease: evidence on causality from a meta-analysis. BMJ 325:1202-1208

14. Homocysteine Lowering Trialists´Collaboration (1998): Lowering blood homocysteine with folic based supplements: meta-analysis of randomised trials BMJ 316: 894-898

15. Schnyder G, Roffi M, Flammer Y, Pin R, Hess OM, (2002) Effect of Homocysteine-Lowering Therapy with Folic Acid, Vitamin B12, and Vitamin B6 on Clinical Outcome After Percutaneous Coronary Intervention – The Swiss Heart Study: A Randomized Controlled Trial. JAMA 288 No8: 973-979

16. Konsensuspapier der D.A.C.H (www.dach-liga-homocystein.org/Konsensus.htm)


Dr. med. Bernd Kleine-Gunk
EuromedClinic