Brauchen wir eigentlich Nahrungsergänzung?

Dr. Bernd Kleine-Gunk

Die Frage wird seit vielen Jahren kontrovers diskutiert und die Auseinandersetzung darüber nimmt gelegentlich die Form eines Glaubenskrieges an. Laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung (DGE) sind Nahrungssupplemente in den meisten Fällen überflüssig. Empfohlen wird etwa die tägliche Aufnahme von 100mg Vitamin C oder von 12mg Vitamin E. Dies sind Mengen, die sich leicht mit der Nahrung zuführen lassen. Im Rahmen der sogenannten Orthomolekularmedizin und auch von vielen Anti-Aging-Ärzten werden dagegen tägliche Vitamindosen empfohlen, die teilweise um Zehnerpotenzen höher liegen, z. B. 1.000 bis 3.000mg Vitamin C oder 400mg Vitamin E pro die. Um derartige Mengen zuzuführen sind Supplemente unverzichtbar.

Der Grund für diese sehr unterschiedlichen – und teilweise auch verwirrenden – Empfehlungen liegt in einer grundsätzlich unterschiedlichen Auffassung bezüglich der Rolle der Vitamine. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung richtet ihre Empfehlungen im wesentlichen an der Vermeidung von Vitaminmangelerkrankungen aus. Dagegen sieht die Orthomolekularmedizin Vitamine hauptsächlich als Anitoxidantien, die möglichst hoch dosiert werden sollten.

Während das biologische Konzept der antioxidativen Wirkung plausibel ist haben viele klinische Studien mit hoch dosierten Vitamingaben eher enttäuschende Ergebnisse erbracht. Eine mögliche Erklärung hierfür könnte sein, dass in den meisten Studien nur die Wirkung einzelner Vitamine getestet wurde. Mehr und mehr wird allerdings erkannt, dass die Wirkung von Antioxidantien nicht so sehr auf Einzelsubstanzen beruht, sondern auf der Wirkung eines „antioxidativen Netzwerkes“. Die hohe oder gar ultrahoch dosierte Gabe von Einzelsubstanzen wird diesem Konzept nicht gerecht.

Neben der Gabe von Vitaminen sind es allerdings auch noch andere Substanzen, bei denen eine Supplementierung geeignet erscheint. So gibt es in Deutschland nicht nur einen endemischen Mangel an Jod, sondern auch eine weitgehende Unterversorgung mit den Mikronährstoffen Zink und Selen. Weitere Nahrungsbestandteile, wie etwa die Phytoöstrogene (Hauptvorkommen: Soja) oder Omega-3-Fettsäuren (Hauptvorkommen: Fetter Seefisch), haben in den letzten Jahren ebenfalls ihren eindeutig positiven gesundheitlichen Nutzen bewiesen. Auch bei diesen Substanzen ist eine tägliche Aufnahme allein über die Ernährung in Westeuropa schwer zu erreichen. Nahrungssupplemente bieten hier eine sinnvolle Alternative.

Nahrungssupplemente sind sicherlich kein Ersatz für eine gesunde und ausgewogene Ernährung. Ihr gezielter Einsatz kann dennoch sinnvoll sein. Hierbei sollte allerdings nicht der Grundsatz „Viel hilft viel“ gelten, sondern die Regel „Je breiter angelegt desto besser“. Durch eine laborchemische Bestimmung der relevanten Serumspiegel sowie durch Messung der oxidativen Belastung des Organismus wird es darüber hinaus zunehmend möglich, den Einsatz von Nahrungssupplementen zu individualisieren und den Erfolg antioxidativer Therapien zu überprüfen.